Exkurs

Ein Virus versetzt die Streaming-Branche in Fieber

Streaming-Angebote boomen auch mit reduzierter Bildauflösung, die Serien- und Filmproduktion stockt und die Notwendigkeit für den Netzausbau wird deutlich – die Corona-Krise hat unterschiedlichste Auswirkungen auf verschiedene Bereiche im Bereich New TV. Ein Einblick. 
Im März 2020 trat James Blunt in der Elbphilharmonie auf – allein mit seiner Band vor leeren Rängen. Die Auflagen zur Eindämmung des Coronavirus ließen keine Zuschauer*innen zu. In Absprache mit Warner Music, der Elbphilharmonie und dem US-Musiker erreichte die Deutsche Telekom dennoch, dass der Auftritt stattfand und wie geplant auf MagentaMusik 360 gestreamt wurde.

Während das öffentliche Leben lahmgelegt wurde, widmeten sich die Menschen dem Streaming, sowohl in Form von Videokonferenzen aus dem Homeoffice heraus als auch nach der Arbeit vor dem Fernseher oder am Laptop. Corona demonstrierte auf eindrucksvolle Weise, warum der Breitbandausbau wichtig ist.

Netze stoßen an ihre Grenzen

Der DE-CIX in Frankfurt am Main, der weltweit größte Internetknotenpunkt, verzeichnete während der Corona-Krise mit einem Datendurchsatz von 9,1 Terabit pro Sekunde einen neuen Weltrekord. Die Netzbetreiber beruhigten: Ihre Infrastrukturen verfügten über genügend Reservekapazitäten, um diese Peaks abzufedern. Es dauerte aber nicht lange, bis die Swisscom ihre Kund*innen zu einer verantwortungsvollen Nutzung aufrief, denn in Tests zeigte sich, dass das Netz des größten Schweizer Telekommunikationsanbieters punktuell an seine Grenzen kam. Von einem Netflix-Stopp war zwischenzeitlich die Rede, damit zum Beispiel Telefoniedienste ohne Störungen funktionieren konnten.

Hinzu kam Ende März 2020 der europaweite Start von Disney+. Inzwischen hatte sich in Spanien und Frankreich die Streaming-Nutzung innerhalb weniger Tage mehr als verdoppelt. Auf Bitten der EU-Kommission reagierten Netflix, YouTube und Amazon. Sie reduzierten die Bildqualität, um den Bandbreitenverbrauch zu verringern. So begann auch Disney+ mit einer reduzierten Bildauflösung. In Frankreich wurde der Start auf Anfang April 2020 verschoben.
 
Foto: Avel Chuklanov auf Unsplash

Sportanbieter unter Druck

Trotz dieser Einschränkungen konnten sich die Streaming-Anbieter eines vermehrten Konsums ihrer Angebote sicher sein. Anders sah das bei den Anbietern aus, die auf die Liveübertragung von Sportereignissen setzen. Im März und April 2020 ruhte vielerorts der Ligabetrieb, Einzelveranstaltungen wurden abgesagt. Die Anbieter reagierten mit Archivmaterial oder eigenproduzierten Dokumentationen. Sky-Sportkund*innen erhielten einen Monat lang die TV-Pakete „Cinema“ und „Entertainment“ gratis zum Abonnement dazu.

Während die meisten Kund*innen des Pay-TV-Anbieters in 24-Monatsverträgen „feststeckten“, litt Konkurrent DAZN unter der monatlichen Kündbarkeit des Abos. Volders, ein Serviceanbieter für die Verwaltung und Kündigung von Endkundenverträgen, setzte nach eigenen Angaben von Mitte bis Ende März 2020 28,3 Prozent mehr DAZN-Kündigungen pro Tag durch als vor der Corona-Krise. Konkrete Zahlen veröffentlicht DAZN nicht. Es wurde aber laut darüber nachgedacht, die Zahlungen an Sportverbände einzustellen. Das setzte wiederum die Verbände unter Druck, die auf die TV-Gelder angewiesen sind, möglichst schnell den Betrieb wieder aufzunehmen.
 
„Am Sonntag nach Bekanntgabe der Pause trennten sich fast viermal so viele Kunden vom Streaming-Anbieter wie bisher. Seit dem 13. März sind die täglichen Kündigungen um rund 155 Prozent gestiegen.“
Mathias Rhode
Chief Marketing Officer bei Volders über die Kündigungen bei DAZN nach dem Stopp der Fußball-Bundesliga

Wer zahlt den Netzausbau?

Die steigende Auslastung der Telekommunikationsnetze während der Corona-Krise zeigt auf beeindruckende Weise den Anteil des Video-Streamings am täglichen Datenverkehr in den Netzen. Cisco geht im Visual Networking Index davon aus, dass im Jahr 2022 82 Prozent des Datenverkehrs durch Video-Streaming verursacht werden. Zukünftige Bildauflösungen wie 4k und 8k oder Entwicklungen im Bereich Virtual Reality gieren geradezu nach Bandbreite.

Um mit dem steigenden Breitbandbedarf Schritt halten zu können, müssen die Netzbetreiber ihre Infrastrukturen ausbauen. Da der Preisdruck im Endkundengeschäft enorm ist, schielen sie auf andere Marktteilnehmer, die ihnen die Investitionen in den Netzausbau refinanzieren sollen. Und das sind diejenigen, die für den Ausbau mit verantwortlich sind: die Streaming-Anbieter. Was im Kabelfernsehen unter Einspeiseentgelte bekannt ist, hätten auch gerne die Betreiber von DSL- und Glasfasernetzen. Es ist die alte Diskussion: Ohne Inhalte wird ein Netz nicht genutzt und ohne Netze kommen die Inhalte nicht zu den Konsument*innen. Die Corona-Krise zeigt, dass die Netze nicht unendlich belastbar sind – und dass die Diskussion um die Finanzierung des permanenten Breitbandausbaus noch lange nicht zu Ende ist.

Marktent­wicklung

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