Johannes Kreile im Interview

Die Rechtesituation für Streaming und neue TV-Funktionen

Was bedeutet Streaming für die Lizenzierung? Und wie müsste ein Lizenzierungsmodell gestaltet sein, um allen Beteiligten gerecht zu werden? Ein Interview mit Prof. Dr. Johannes Kreile, Rechtsanwalt bei Noerr LLP in München und spezialisiert auf Medien-, Urheber- und Presserecht sowie Entertainment Law.
Herr Kreile, mit dem Streaming ist eine neue Verbreitungsform für audiovisuelle Inhalte entstanden. Wie wirkt sich das auf die Lizenzierungspraxis aus?

Johannes Kreile: Bei der Verbreitungsform Streaming muss man zwischen Livestreaming von bekannten Fernsehsendern sowie Streaming-Angeboten der On-Demand-Plattformen unterscheiden, da urheberrechtlich unterschiedliche Rechte gelten. Während das Streaming von Fernsehprogrammen ohne jegliche Download-Möglichkeit eine Form des Senderechts darstellt, sind On-Demand-Angebote wie Netflix oder Amazon Prime Streaming-Dienste, die das Recht der Zurverfügungstellung an die Öffentlichkeit gemäß § 19a UrhG nutzen. Dieser rechtliche Unterschied wirkt sich auch auf die Lizenzierungspraxis aus.

Da beispielsweise ARD, ZDF und die Privatsender Mediatheken betreiben, müssen sie neben den reinen Senderechten auch die On-Demand-Rechte erwerben. Gleichzeitig ist der Markt der On-Demand-Angebote sehr differenziert. Es gibt ihn in Form von werbefreien Angeboten, aber auch von werbefinanzierten Angeboten – wie etwa bei YouTube. Außerdem gibt es Pay-Angebote in Form von SVoD und den Einzelabruf in Form des TVoD. Gerade das TVoD bietet in vielen Fällen auch noch zusätzlich die Möglichkeit zum Download. In diesem Fall wird auch das Vervielfältigungsrecht genutzt. Das heißt: Für diese Verbreitungsform muss ein weiteres urheberrechtliches Nutzungsrecht erworben werden.
„Produzenten haben in den letzten Monaten verstärkt versucht, die Video-on-Demand-Rechte eigenständig zu vermarkten, weil sie einen großen Wachstumsmarkt mit hohem Finanzpotenzial darstellen.“
Mithilfe von TVoD-Angeboten können sich die User eine Kopie des Films auf ihr Device, also beispielsweise den Computer, laden. Diese Form der Verbreitung setzt zusehends mehr den DVD-Markt in Deutschland unter Druck. Produzenten haben in den letzten Monaten verstärkt versucht, die Video-on-Demand-Rechte eigenständig zu vermarkten, weil sie einen großen Wachstumsmarkt mit hohem Finanzpotenzial darstellen. Gleichzeitig sind viele Anbieter von Fernsehprogrammen und Video-on-Demand-Angeboten bemüht, Exklusivität zu erreichen, sodass sie die Rechte für die lineare und die non-lineare Verbreitungsform erwerben.

Es gibt neue, nutzerfreundliche Funktionen wie Cloud PVR, Restart oder Replay, aber sie werden nicht für jedes Programm angeboten. Woran liegt das?

Kreile: Das liegt am Urheberrecht. Der PVR, aber auch die Funktionen Restart oder Replay können nur dann genutzt werden, wenn für diese Nutzungsformen auch die Rechte eingeholt werden. Nicht jeder Rechtegeber ist bereit, diese Rechte einzuräumen oder nur zu hohen Preisen, die im Einzelnen von den Anbietern nicht bezahlt werden wollen. Darüber hinaus müssen für PVR-Funktionen wie Restart oder Replay auch die technischen Voraussetzungen bei den Plattformanbietern geschaffen werden. 

Wenn die Lizenzgeber nicht bereit sind, das für diese Nutzungsformen notwendige Rechtepaket, insbesondere das Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht, zur Verfügung zu stellen, müssen Lösungen gefunden werden. Zum Teil erfolgt das heute schon über die Verwertungsgesellschaften oder die Münchner Gruppe, einen Zusammenschluss vieler deutscher Verwertungsgesellschaften.

Wie müsste aus Ihrer Sicht eine moderne Lizenzierung gestaltet sein, damit sie allen an der Wertschöpfungskette Beteiligten gerecht wird?

Kreile: Die Lizenzierung ist das Kerngeschäft für den Rechteinhaber. Ihm obliegt die wirtschaftliche Betrachtung, mit welchem Verwerter er welche Auswertungsmöglichkeiten nutzen will und wie für ihn der maximale Erfolg aus der Lizenzierung der einzelnen Rechte entsteht. Es ist weniger die Frage der modernen oder nicht modernen Lizenzierung, die es hier zu beantworten gilt, sondern die Frage: Wie kann mithilfe einer sehr differenziert ausgestalteten Lizenzierung ein größtmöglicher Ertrag erzielt werden? Während es dem Rechteinhaber vor allem darum geht, eine Lizenzierungspraxis aufzubauen, die ihm einen möglichst hohen Ertrag gewährt, sind die Nutzer der Rechte, also die Sender und die Plattformbetreiber, bemüht, einerseits kostengünstig zu erwerben, andererseits aber auch ein Höchstmaß an Exklusivität zu erlangen.
Die Plattformbetreiber, insbesondere die Kabelnetzbetreiber, haben das Interesse, mit Funktionen wie Restart oder Replay den Nutzern einen höchstmöglichen Komfort anzubieten. Dieser Komfort aber beschädigt gleichzeitig andere Rechte, insbesondere die Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechte mittels DVD-Vertrieb, aber auch den Zugriff auf Angebote mancher Streaming-Dienste. Wenn Kunden mithilfe eines Cloud PVR in der Lage sind, ein Filmarchiv aufzubauen, ist es nicht mehr zwingend notwendig, auch Streaming-Angebote oder TVoD-Angebote für Repertoirematerial zu nutzen.

Derzeit setzt Deutschland die EU-Vorgaben für eine Reform des Urheberrechts in nationales Recht um. Wie beurteilen Sie die bisherigen Bemühungen?

Kreile: Die Europäische Union hat mit ihren Vorgaben sowohl im Bereich der Digital Single Market Directive wie auch der Geoblocking-Verordnung und der Portabilitätsrichtlinie einen Rahmen geschaffen, der nun zeitnah in deutsches Recht umzusetzen ist. Während man vor allem über die Upload-Filter oder das Leistungsschutzrecht für Presseverleger diskutiert, wird leicht übersehen, dass die europäische Urheberrechtsrichtlinie auch umfangreiche Vorschriften für eine angemessene Vergütung der Urheber- und Leistungsschutzberechtigten sowie umfangreiche Auskunfts- und Transparenzpflichten vorsieht. Auch wenn die Regelungen zur angemessenen Vergütung im deutschen Urhebergesetz schon umgesetzt sind, wird von Seiten der sogenannten Urheberrechtslobby versucht, die Bestimmungen zugunsten der Urheber weiter zu verschärfen. Die Verwerter dagegen sind bemüht, das bestehende Regime aufrecht zu erhalten. Die nächsten zwölf Monate werden hier noch interessante Diskussionen zeigen.

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