Marktentwicklung

Aggregation und Allianzen

Steve Jobs hat keineswegs den Touchscreen für Smartphones erfunden und Netflix nicht Video on Demand. Den wahren Pionieren war jedoch kein großer Erfolg vergönnt, weder BellSouth mit dem ersten Touchscreen-Handy 1993 noch Maxdome, das bereits 2006 das Licht der TV-Welt erblickte, acht Jahre vor dem Deutschland-Start von Netflix. Doch mit zunehmender Verbreitung breitbandiger Internetanschlüsse stieg auch die Nutzung non-linearer Videoinhalte.

Laut Media Consumer Survey des Beratungsunternehmens Deloitte aus dem Jahr 2019 schauen inzwischen 60 Prozent der Deutschen Bewegtbilder on Demand und 16 Prozent konsumieren häufiger nicht-lineare Videodienste als das klassische Fernsehen. Das gilt insbesondere für die jüngeren Zielgruppen, die sich immer weiter vom linearen TV-Konsum verabschieden.
„Zwanzig Prozent des Traffics bei RTL.de stammen von TVNOW.“
Jan Wachtel
Geschäftsführer digitale Medien & journalistische Inhalte bei der Mediengruppe RTL Deutschland bei den MEDIENTAGEN MÜNCHEN 2019
Allerdings kann man nicht behaupten, dass Streaming der Totengräber des linearen Fernsehens ist. Die Nutzungsdauer des klassischen Fernsehens bleibt trotz VoD-Boom auf hohem Niveau. Streaming und lineares Fernsehen werden komplementär genutzt. Hier dürfte die Bequemlichkeit der Nutzer*innen eine große Rolle spielen, denn beides kann dank des Einzugs der Smart-TVs in deutsche Wohnzimmer auf einem Bildschirm empfangen werden. Opfer der Bequemlichkeit sind Videotheken sowie physische Datenträger wie DVDs und Blu-ray-Discs, deren Zahl beziehungsweise Marktvolumen in den vergangenen Jahren nur eine Richtung kannten – abwärts.
„Solange das lineare Fernsehen noch in der Lage ist, starke Marken zu schaffen, muss man sich keine Sorgen machen.“
Andreas Bartl
Geschäftsführer von RTLZWEI und El Cartel Media bei den MEDIENTAGEN MÜNCHEN 2019

Die Luft wird dünner

Der Streaming-Markt befindet sich im Wandel. Zwar wird laut der Studie „Streaming Market Germany 2020“ des Beratungsunternehmens Goldmedia der Umsatz weiter steigen, aber es drängen immer mehr Anbieter in den Markt, erste Nischenprodukte bilden sich. Mit Watchever strich bereits 2016 der erste VoD-Anbieter in Deutschland die Segel, im OTT-Bereich folgten Magine und TV Spielfilm Live. Laut Media Survey von Deloitte stieg die Zahl der VoD-Nutzer*innen in den Jahren 2017 und 2018 nur noch um fünf Prozentpunkte. Deshalb rücken die Konsument*innen in den Fokus. Was wollen sie sehen und vor allem: Was sind sie bereit, dafür zu zahlen?

Dazu gibt es unterschiedliche Aussagen. In der Studie „Zukunft der Consumer Technology – 2019“ geht Bitkom Research von durchschnittlich 16 Euro pro Monat aus. Im SVoD Tracker der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) ist von monatlichen 23 Euro die Rede. Durchschnittlich seien Konsument*innen bereit, 2,2 Angebote zu nutzen. Insgesamt 33 Prozent der aktuellen SVoD-Nutzer*innen geben in der GfK-Studie an, zukünftig für bestimmte Filme oder Serien ein weiteres Abo abzuschließen beziehungsweise den Anbieter wechseln zu wollen. Goldmedia geht in seinen VoD-Ratings davon aus, dass die meisten Zuschauer*innen in Deutschland derzeit nicht mehr als zwei Dienste abonnieren wollen. Für 75 Prozent sind zwei Abos sogar das Maximum. Durchschnittlich sind die VoD-Nutzer*innen laut Goldmedia hierzulande bereit, 20,50 Euro monatlich für Videostreaming zu bezahlen.

Der Markt fragmentiert sich

Durch den Eintritt neuer Anbieter wie etwa Apple TV+ oder Disney+ fragmentiert sich der Markt weiter. An diesem Trend wird sich kurzfristig nichts ändern. Die Fragmentierung wird sich auch auf die Lizenzierung von Bewegtbildinhalten an Dritte auswirken. Produzenten wie Disney oder Warner nutzen ihre Inhalte für die eigenen Plattformen, um deren Attraktivität zu steigern. Folglich fahren sie die Lizenzierung an Dritte zurück. Ein Streaming-Hit auf Amazon Prime Video ist zum Beispiel die US-Sitcom „The Big Bang Theory“. Sie stammt von Warner Media und wird ihr neues Zuhause sicherlich im Warner-eigenen Streaming-Dienst HBO Max finden, sobald dieser auch in Deutschland gestartet ist.

Die treibenden Marktkräfte sind die großen Anbieter. Amazon hielt laut Goldmedia 2019 in Deutschland einen Anteil von 35 und Netflix von 25 Prozent am SVoD-Markt. Daneben existieren jedoch viele kleinere Anbieter, die sich auf spezielle oder lokale Inhalte fokussieren. Die Frage ist, ob es einem Unternehmen gelingen wird, diese Fragmentierung durch eine Bündelung zu überwinden. Der Deloitte Media Consumer Survey geht zumindest davon aus, dass unter den Nutzer*innen ein Interesse für ein solches gebündeltes Angebot besteht. Vor diesem Hintergrund erscheint die Integration von Netflix zum Beispiel in Sky Ticket oder Horizon des von Vodafone aufgekauften Kabelnetzbetreibers Unitymedia plausibel. Expert*innen rechnen aber eher den Plattformbetreiben Amazon, Google oder Apple die besten Chancen zu, den Markt zu konsolidieren, denn sie besitzen technisches Know-how, Reichweite und vor allem die finanziellen Mittel.

Bleib auf dem Laufenden!


Der Newsletter von XPLR: Media in Bavaria gibt Updates über aktuelle Entwicklungen, spannende Innovationen und wichtige Events in der bayerischen Medienbranche. 
XPLR: More

Druck auf die Kleinen

Dadurch geraten sowohl kleine Streaming-Anbieter als auch die Smart-TV-Hersteller unter Druck. Kleine Anbieter werden kaum umhinkommen, ihre Inhalte auf aggregierten Plattformen anzubieten, um an Reichweite zu gelangen. Die TV-Gerätehersteller müssen in der Content-Vermarktung Allianzen schmieden. Die Verfügbarkeit attraktiver Inhalte wird ein wichtiges Argument beim Endgerätekauf werden. Gerätehersteller und Plattformbetreiber werden sich aber kaum auf Augenhöhe begegnen – zum Nachteil der Hersteller.

Die Zunahme an Streaming-Angeboten sowie die geringen Hürden bei der Abo-Kündigung wie etwa Kündigungsfristen von vier Wochen werden dafür sorgen, dass die Wechselrate zunimmt. Erreichen die Nutzer*innen ihre Ausgabengrenze für das Streaming, ohne dass sie in den Genuss all ihrer gewünschten Inhalte kommen, wird neben dem Password Sharing auch die Nutzung illegaler Angebote zunehmen. Illegale Streams sind bereits heute ein Problem, wenn auch bislang eher für die Anbieter attraktiver Sportinhalte.
„Die Menschen – egal welchen Alters – suchen nach relevantem Content und zwar auf jedem Gerät, das ihnen gerade zur Verfügung steht. Anbieter von Bewegtbildinhalten sollten dies aufgreifen und ihren Inhalt auf allen Distributionswegen zur Verfügung stellen."
Kerstin Niederauer-Kopf
Vorsitzende der Geschäftsführung der AGF Videoforschung

Wachstumspotenzial noch vorhanden

Auch wenn sich durch die steigende Zahl an Streaming-Anbietern der Verdrängungswettbewerb Bahn schlägt, wird noch in zwei Segmenten Wachstumspotenzial gesehen: Zum einen in den Altersgruppen der über 55-Jährigen. Noch halten sich die „Silver Surfer“ von VoD weitgehend fern. In der Gruppe der 55- bis 64-Jährigen liegt der Anteil der VoD-Nutzer*innen laut Deloitte bei 42 und in der Gruppe der über 65-Jährigen sogar nur bei 25 Prozent. Hier stieg der VoD-Nutzer*innenanteil von 2017 bis 2018 nur um vier Prozent. Die Anbieter müssen also Inhalte entwickeln, die speziell diese Altersgruppen ansprechen.
Zum anderen ist das Potenzial im AVoD-Segment noch nicht vollständig ausgereizt. Goldmedia geht davon aus, dass dieser Markt 2020 in Deutschland um 20 Prozent auf einen Gesamtumsatz von 1,5 Milliarden Euro wachsen wird – ein Plus von 242 Millionen Euro im Vergleich zu 2019. Das wären bei den vom Privatsenderverband VAUNET publizierten 4,5 Milliarden Euro an Netto-TV-Werbeumsätzen bereits ein Drittel. Marktführer ist YouTube mit 41 Prozent, gefolgt von Facebook mit 25 Prozent. Die Vermarktungstöchter von ProSiebenSat.1 und der Mediengruppe RTL Deutschland kommen zusammen auf 26 Prozent.

In Zukunft werden immer mehr Media Spendings in den Online-Bereich fließen, denn auch der lineare TV-Konsum über OTT-Angebote wie Zattoo oder waipu.tv nehmen zu. Goldmedia kommt auf 13 Millionen Personen über 14 Jahre, die lineares Fernsehen über OTT schauen. Mit Joyn und MagentaTV kommen weitere Anbieter hinzu. Durch die steigende Nutzung von AVoD-Angeboten ist nicht auszuschließen, dass es in Zukunft vermehrt hybride Modelle geben wird, die Inhalte sowohl werbefinanziert als auch im Abonnement anbieten. Die Musikindustrie macht es dem Fernsehen gerade vor.

Geschäfts­modelle

Nächster Artikel